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Geschwister kochen zusammen
Tuesday, 23.05.23
5 Min.

Diagnose Krebs – Bewegung und Ernährung in der Therapie

Neben der stetig ansteigenden Zahl der Krebserkrankungen entwickelt sich zum einen die schulmedizinische Behandlung weiter, zum anderen zeigt sich auch, wie wichtig die komplementäre Ernährungs- und Bewegungstherapie ist. Grund hierfür ist, dass ein körperlicher Abbau während der Therapie verstärkt zu Nebenwirkungen führen kann oder auch die Behandlung nur in abgeschwächter Form durchgeführt werden muss, da der Körper bereits zu schwach ist. All das hat wiederum einen Einfluss auf das Überleben.

Im Jahr 2018 erkrankten etwa 498.000 Menschen in Deutschland neu an Krebs. Das zeigen die Zahlen der deutschen Krebsregister. Die International Agency for Research on Cancer schätzt die Zahl der Krebsneuerkrankungen für das Jahr 2020 auf weltweit rund 19,3 Millionen. Die Zahl der Krebstodesfälle belief sich im gleichen Jahr auf knapp 10 Millionen – Tendenz steigend. Laut Prognose könnte sich die Zahl der Krebsneuerkrankungen bis zum Jahr 2040 auf rund 30,2 Millionen erhöhen (Statista, 2022).

Krebsneuerkrankungen Deutschland
Abbildung 1: Prozentualer Anteil der häufigsten Tumorlokalisationen an allen Krebsneuerkrankungen in Deutschland 2018 (ohne nicht-melanotischen Hautkrebs) Krebs in Deutschland für 2017/2018 © 2021 Robert Koch-Institut

Neben der sich stetig verbessernden und gezielteren Therapie haben sich auch die komplementären Maßnahmen angepasst beziehungsweise den Bereich körperliche Aktivität in den letzten Jahren komplett auf den Kopf gestellt. Bis Ende der 1990er-Jahre galten Ruhe und körperliche Schonung als Standardempfehlung für onkologische Patienten. Doch dies führt zu einem Abbau des aeroben Systems sowie der Muskulatur. Dadurch fällt der Alltag schwerer, man ist schneller müde, ruht sich weiter aus und baut in der Folge weiter ab.

Aufgrund der Tumorerkrankungen als solches sowie im Rahmen der Therapie manifestieren sich häufig Nebenwirkungen, wie beispielsweise eine sog. Fatigue (tumorassoziierte Müdigkeit), eine Kachexie (starker körperlicher Abbau) sowie eine Mangelernährung, Übelkeit, eine Anämie oder auch eine therapiebedingte Polyneuropathie (Sensibilitätsstörung durch die toxische Wirkung der Medikamente, welche sich hauptsächlich in Füßen und Händen bemerkbar macht).

Aufgrund der therapiebedingten Nebenwirkungen sowie der Tumorerkrankung entwickeln sich oftmals eine körperliche Dekonditionierung, Muskelschwund, Gleichgewichtsstörungen sowie verminderte Kraft.

Zahlreiche Studien zeigen, dass der funktionelle Status, die Ganggeschwindigkeit, die Körperkomposition sowie auch die Kraft Prädiktoren für das Überleben darstellen (Barnes et al., 2022; Hui et al., 2014; Millan-Calenti et al., 2010; Wildes et al. 2013). Eine Verschlechterung in diesen Parametern kann neben den Aspekten der Lebensqualität auch klinisch weitreichende Folgen haben. Die klinische Behandlung wird beeinflusst, sekundäre Nebenwirkungen sowie längere stationäre Behandlungszeiten treten auf und können langfristig sogar zum Tod führen.

Nebenwirkungen durch Tumorerkrankungen und durch die Therapie

Im Folgenden wird näher erläutert, was unter den zuvor genannten therapiebedingten Nebenwirkungen zu verstehen ist und wie sie durch Ernährung oder Bewegung beeinflusst werden können.

Tumorkachexie

Die Tumorkachexie ist definiert als ein multifaktorielles Syndrom, welches durch einen fortlaufenden Verlust der Muskelmasse gekennzeichnet ist (mit oder ohne Verlust der Fettmasse) und nicht vollständig durch eine konventionelle Ernährungstherapie rückgängig gemacht werden kann (Baracos et al., 2018; Fearon et al., 2011). Sie führt zu einer progressiven Funktionsbeeinträchtigung. Die Pathophysiologie ist durch eine negative Protein- und Energiebilanz charakterisiert, welche durch eine Kombination aus reduzierter Nahrungsaufnahme und abnormalem Metabolismus entstanden ist.
 
Vor der Einführung einer genauen und effektiven Tumordiagnostik und der Verbesserung der Therapiemöglichkeiten wurden maligne Tumore häufig erst in fortgeschrittenen Stadien diagnostiziert (Rock et al., 2012). Daher galt Tumorkachexie lange als Zeichen eines terminalen Tumorstadiums.
 
In den letzten Jahren entwickelte sich ein besseres Verständnis der multifaktoriellen Pathogenese, die zu einer Tumorkachexie führt.
Daraus folgte die Erkenntnis, dass eine Tumorkachexie auch zu einem frühen Zeitpunkt der Erkrankung eintreten kann.
 
Präventive, diagnostische und therapeutische Maßnahmen sind daher lohnenswert und unumgänglich (Arends et al., 2023; Aapro et al., 2014; Lucia et al., 2012; Muscaritoli et al., 2006). Gleichzeitig wird in Studien deutlich, dass das Vorhandensein einer Kachexie einen negativen Einfluss auf die Lebensqualität, die Toleranz und das Ansprechen der Tumortherapie sowie auf die Morbiditäts- und Mortalitätsrate hat.
 
Schätzungsweise leiden mehr als 50 Prozent aller Tumorpatienten zum Zeitpunkt ihres Todes an einer Kachexie. Bei 20 Prozent dieser Patienten ist die Kachexie die direkte Ursache für das Versterben (Aapro et al., 2014; von Haehling & Anker, 2012).

Fatigue

Tumorassoziierte Fatigue tritt bei ca. 30 bis 50 Prozent der Patienten während und nach einer Tumorbehandlung auf (Kuhnt et al., 2009; Singer et al., 2011; Thong et al., 2020). Das National Comprehensive Cancer Network definiert tumorassoziierte Fatigue als „persistent belastendes, subjektives Gefühl der körperlichen, emotionalen und/oder kognitiven Müdigkeit oder Erschöpfung im Zusammenhang mit einer Tumorerkrankung bzw. -behandlung, die nicht proportional zu aktuellen Aktivitäten ist und das alltägliche Handeln einschränkt“ (Mortimer et al., 2010). Die Symptomatik der tumorassoziierten Fatigue ist vielschichtig und reicht von Gefühlen der Abgeschlagenheit und mangelnder Energie über Antriebs- und Interesselosigkeit bis hin zu Konzentrations- und Gedächtnisstörungen.
 
Die empfundenen Störungen und Einschränkungen werden von den Betroffenen sehr unterschiedlich beschrieben und ausgedrückt. Viele Betroffene leiden zusätzlich unter Schmerzen, Schlafstörungen und psychischer Belastung durch Angst und Depression (Ancoli-Israel et al., 2001; Brown & Kroenke, 2009; Ruffer et al., 2003).
Ich befasste mich mit diesem Thema im Rahmen meiner Doktorarbeit mit dem Titel „Funktioneller Status und Alltagsbewältigung bei Patienten mit fortgeschrittenen gastrointestinalen Tumoren im Verlauf einer Chemotherapie“. Dabei konnte ich zeigen, dass ein durchschnittlicher Umfang von zwei Stunden moderater körperlicher Aktivität wöchentlich während einer Tumortherapie sowohl zu einer Steigerung des körperlichen als auch zu einer Verbesserung des funktionellen Status führt. Gleichzeitig verbesserten sich der Ernährungszustand sowie der Appetit dieser Patienten und auch die Alltagsbewältigung. Diese Studie gab zudem erste Hinweise, dass durch eine komplementäre Bewegungstherapie mit moderater körperlicher Aktivität die Toxizität der Chemotherapie bei Patienten mit fortgeschrittenen gastrointestinalen Tumoren vermindert werden kann. Du willst mehr über die Studie wissen, dann schau sie dir gerne im Detail an:

Doktorarbeit Katrin Stücher: Funktioneller Status und Alltagsbewältigung bei Patienten mit fortgeschrittenen gastrointestinalen Tumoren im Verlauf einer Chemotherapie

 

Komplementäre Ernährungs- und Bewegungstherapie in der Praxis

In den letzten Jahren zeigten Studien, dass die Aufrechterhaltung des körperlichen und funktionellen Status essenziell für eine erfolgreiche Krebstherapie ist. Basierend auf diesem Wissensfortschritt werden während der Krebstherapie die Ernährung, das Körpergewicht und in einigen Krankenhäusern auch die Körperkomposition der Patienten kontrolliert.
Eine Ernährungstherapie wird eingesetzt, um den Ernährungszustand, das Körpergewicht, die körperliche Leistungsfähigkeit, den Stoffwechsel, die Verträglichkeit antitumoraler Therapien, die Lebensqualität und den Erkrankungsverlauf zu verbessern oder zu stabilisieren (Arends et al., 2015).
 
Viele Patienten leiden jedoch während der Therapie unter Appetitlosigkeit oder Übelkeit. Grund hierfür kann die Erkrankung selbst oder die Strahlen- oder Chemotherapie sein. Neben einer verminderten Nahrungsaufnahme können weitere Faktoren wie eine systemische Inflammation und eine anhaltende Katabolie zum Gewichtsverlust beitragen.
Für das Screening auf Mangelernährung werden validierte und international etablierte Instrumente wie der NRS-2002 (Nutrition Risk Score) oder das MUST (Malnutrition Universal Screening Tool) eingesetzt.
 
Reicht eine durch die Ernährungsfachkräfte angeleitete Ernährungsumstellung nicht aus, sodass das Körpergewicht dennoch abnimmt oder sich die Ernährungssituation verschlechtert, können im nächsten Schritt die Speisen durch Öle, Fette und Zucker, wie Maltodextrin (geschmacksneutral), angereichert werden oder es kann mit einer unterstützenden Trinknahrung gearbeitet werden. In weiteren Schritten wird eine enterale oder parenterale Ernährung eingesetzt.
„Alles Leben ist Bewegung, Bewegung ist Leben“ (Leonardo da Vinci, 1508)

Zahlreiche Studien zeigen, dass ein strukturiertes körperliches Training unter Berücksichtigung individuell vorhandener Einschränkungen bei unterschiedlichen Patientenkollektiven während und nach der Tumortherapie ohne Sicherheitsbedenken durchführbar ist.

Durch ausdauerorientierte Bewegung oder kombiniertes Ausdauer- und Krafttraining kann die Lebensqualität gesteigert und eine Reduktion der Fatigue-Symptomatik erreicht werden (Ferrer et al., 2011; Mishra, Scherer, Geigle et al .; Mishra, Scherer, Snyder et al., 2012). Dies wird durch einen positiven Einfluss körperlicher Aktivität auf die Ausdauerleistungsfähigkeit begleitet (Fong et al., 2012; Jones et al., 2011; Speck et al., 2010).

Weitere positive Auswirkungen körperlichen Trainings beziehen sich auf Muskelkraft, Körperkomposition und Gehdistanz (Fong et al., 2012; Jones et al., 2012; Schmitz et al., 2010) sowie therapieinduzierte Spätfolgen – wie z. B. Risikofaktoren für kardiovaskuläre Komorbiditäten – und verschiedene Immunparameter (Kruijsen-Jaarsma et al., 2013; Scott et al., 2013).

Die zusammenführende Analyse dieser Aspekte verdeutlicht, dass körperliches Training ein breites und positives Wirksamkeitsspektrum aufweist. Dies gilt insbesondere in der Beeinflussung erkrankungs- und therapieassoziierter Symptomatiken und Folgen.

Bewegungsempfehlungen während der Krebstherapie

Daher liegen die Empfehlungen für onkologische Patienten für körperliche Aktivität zusätzlich zur alltäglichen Bewegung bei 150 Minuten moderate oder 75 Minuten intensive aerobe körperliche Aktivitäten pro Woche bzw. bei einer Kombination der beiden Intensitätsbereiche (Campbell et al., 2019; Patel et al., 2019; Garber et al., 2011). Außerdem wird empfohlen, zwei bis drei Mal pro Woche ein Krafttrainingsprogramm mit Fokus auf den großen Muskelgruppen durchzuführen (Haskell et al., 2007; Schmitz et al., 2010).

Fazit

Demnach kann festgehalten werden, dass mit gezielter Ernährungs- und Bewegungstherapie während der Krebsbehandlung das Ziel sein sollte, die Muskelkraft und das Körpergewicht bestmöglich zu erhalten. Damit kann die Therapie positiv unterstützt werden, die Lebensqualität kann verbessert werden, die Alltagsbewältigung kann erhalten bleiben und schlussendlich können sogar die Überlebenschance erhöht werden.
Eine Ernährungsberaterin sitzt am Tisch mit einer Patienten.
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Katrin Stücher
Autor:in
Dr. Katrin Stücher
Ernährungs- und Sportwissenschaftlerin

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